Der österreichische und der schwedische Mozart
Joseph Martin Kraus: Symponie funèbre (1792)
Wolfgang Amadeus Mozart: Requiem (1791)
So. 23.3.2025, 17 Uhr, Markuskirche Stuttgart
Kammerchor Stuttgart und Hofkapelle Stuttgart, Leitung: Frieder Bernius
Ein Mord und eine Trauermusik

Die Interpreten
Karneval in Stockholm. König Gustav III. hat in der Nacht vom 16. auf den 17. März 1792 eine illustre Gesellschaft zum Maskenball in Opernhaus geladen. Auch der königlich schwedische Kapellmeister Jo-seph Martin Kraus, er stammt aus dem Odenwald, tanzt und feiert. Der König betritt den Saal. Plötzlich wird er umringt und angegangen, im Tumult fal-len Schüsse. Eine adlige Ver-schwörerclique, die bei dem auf-geklärten Absolutisten Gustav um ihre Pfründe fürchtet, verübt ein Attentat. Zwei Wochen später stirbt der König an seinen Verletzungen.
Weitere zwei Wochen danach findet in der Stockholmer Rid-darholmkirche eine große Auf-bahrungsfeier statt. In aller Eile muss Kraus eine Trauermusik komponieren: die Symphonie funèbre. Dabei ist er selber todkrank, eine verschleppte Tu-berkulose. Wieder vier Wochen danach findet an selbiger Stelle das Staatsbegräbnis statt. Der königliche Privatsekretär Leo-pold dichtet einen ausladenden Kantatentext, Kraus muss ihn für große Besetzung vertonen.
Sopran: Hannah Morrison
Alt: Marie Henriette Reinhold
Tenor: Florian Sievers
Bass: Felix Rathgeber
Das Annus horribilis 1792
Frieder Bernius
Im annus horribilis 1792 muss Kraus Totenmusiken schreiben, und er weiß, dass es auch seine eigenen sind. Die Symphonie funèbre hat die klassischen vier Sätze, die aber alle im Trauerduktus bleiben. Der erste Satz deutet eine Sonatenform an, doch alle Teile sind von pochenden Synkopen und schmerzlichen Vorhalten durchzogen. Der zweite Satz ähnelt formal einem langsamen Menuett ohne Trio. Der dritte Satz ist nichts weiter als ein Kantionalsatz des protestantischen Begräbnislieds Nun lasst uns den Leib begraben, das mit der Melodie, die auch Kraus verwendet, erstmals in einem Gesangbuch von 1544 steht. In schwedischer Übersetzung findet es sich auch in den schwedischen Kirchengesangbüchern. Das Finale startet mit einem passus duriusculus von f in die Grundtonart c-Moll. Ein eindrückliches Hornsolo bildet den Seitensatz. Die Kantilene ist ein Gruß nach Wien: Sie spielt auf das Hauptthema einer Symphonie an, die Kraus Joseph Haydn widmete. Nun nimmt Kraus den Choral auf, der rückblickend wie eine Einleitung des Finalsatzes wirkt. Aus der ersten Choralzeile bildet er Fugenthema. Die Verklärung ist erreicht, wenn Kraus in der Coda das Paukenmotiv und die Synkopen des ersten Satzes wieder aufnimmt: Die irdische Existenz ist in der göttlichen Ewigkeit angekommen.
Frieder Bernius ist als Chor-dirigent auf den großen Bühnen der Welt vertreten. Mit dem von ihm gegründeten Kammerchor Stuttgart (1968) und der Hof-kapelle Stuttgart (1991) hat er die großen Werke der Chor-literatur in maßstäblichen Auf-führungen und Einspielungen vorgelegt.
Eine ausführliche Biographie finden Sie hier.
Der österreichische und der schwedische Mozart
Der Mozartfreund aus dem Odenwald
Die beiden Trauermusiken sind Kraus’ letzte große Werke. Eine Parallele zu Mo-zarts Requiem ist oft gezogen worden. Bei nahezu identischen Lebensdaten schreiben beide Komponisten auftragsgebundene Trauermusiken, die auch deshalb so ein-drücklich wirken, weil sie bereits selbst vom nahen Tod gezeichnet sind. Auf Mozarts Tod, der in Stockholm mit großer Anteil-nahme verfolgt wird, hat Kraus noch im Januar 1792 ein Klavierlied geschrieben: Öfver Mozarts död. Es ist gut möglich, dass Kraus vom Requiem-Auftrag des Kollegen weiß, wenngleich er die Teile, die Mozart davon noch fertigstellen konnte, nicht gekannt haben wird. Introitus und Kyrie sind möglicherweise bei einer Trauerfeier für Mozart im Dezember 1791 gespielt worden. Die von Franz Xaver Süßmayr ergänzte Fassung wird erst im Januar 1793 aufgeführt. Zwei Wochen vorher ist auch Kraus gestorben.
Kraus stammt aus einer Beamtenfamilie im Amtsstädtchen Buchen. Er sollte in die Fußtapfen seines Vaters treten und studierte Jura in Mainz und Erfurt. Doch er spürte gewaltige poetische und musikalische Kräfte. Während seiner Mannheimer Gymnasialzeit hatte er Musikunterricht bei dem berühmten Abbé Vogler. Als er nach einem einjährigen Aufenthalt im heimischen Odenwald das Studium in Göttingen wieder aufnahm, hatte er Kontakt mit den Hainbündlern. Er dichtete und komponierte, für sein Tod-Jesu-Oratorium schrieb er den Text selber. Er hielt sich, zeittypisch, für ein Originalgenie, lebte frei-schaffend und gab sein weniges Geld mit beiden Händen aus. Oft musste der Vater Dukaten schicken. Dem Vater wird 1777 von kleingeistigen Buchener Bürgern ein Kor-ruptionsverfahren angehängt. Das verdirbt Kraus die letzte Lust auf ein gepolstertes Beamtendasein in der Odenwälder Heimat. Der Ruf auf eine feste Musikerstelle nach Uppsala und wenig später in den königlichen Dienst in der schwedischen Hauptstadt kommt ihm gerade recht. “Meinem Vaterland bin ich keinen Dank schuldig. (…) An fremden Ufern soll das Glük mich erwarten“, schreibt er in einem Brief. Kraus kann von Schweden aus reisen: er trifft Haydn in Esterhaza und den verehrten Gluck in Wien. Seine Werke genießen Aufführungen und Aufmerksamkeit.